Stand: 2019-01-08 / Version 2019; 1.48

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    Kein wirksamer formularmäßiger Verzicht des Bürgen auf seine Rechte aus   § 776 BGB! ( Erstveröffentlichung )(Überarbeitete Fassung eines Beitrages aus dem Jahr 1982; seit 1995 im WEB )

 

A)  Seit seiner Entscheidung vom 24.9.1980 (1) hält der BGH in ständiger Rechtsprechung daran fest, daß der Bürge formularmäßig auf seine Rechte aus § 776 BGB verzichten könne. Diese Rechtsprechung war von Anfang an nicht richtig durchdacht und ist daher abzulehnen. Im Ausgangsfall vom 24.9.1980 ging es um den folgenden Sachverhalt:

  Die klagende Bank hatte sich zur Sicherung aller Ansprüche aus einer Geschäftsverbindung mit einer KG  deren sämtliche gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen gegen namentlich bezeichnete Kunden abtreten lassen. Der beklagte Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der KG hatte sich im November 1968 der Klägerin bis zur Höhe von DM 300.000,-- für alle Forderungen aus der Geschäftsverbindung verbürgt. Im Bürgschaftsformular der Bank waren die Rechte des Bürgen aus § 766 BGB ausgeschlossen. Im Oktober 1971 fiel die Hauptschuldnerin in Konkurs. Ein Rechtsstreit der Hauptschuldnerin gegen eine Drittfirma auf Zahlung von nahezu DM 700.000,--,  der  zur Zeit der Konkurseröffnung anhängig war, wurde vom Konkursverwalter nicht aufgenommen; vielmehr schloß die klagende Bank (als Zessionar der Forderung der Gemeinschuldnerin) unter Beteiligung des Konkursverwalters mit der Drittfirma einen Vergleich. Hiernach zahlte die Drittfirma DM 130.000,-- an die Klägerin sowie DM 284.000,-- an den Konkursverwalter. Unter Anrechnung der DM 130.000,-- aus dem Vergleich fiel die klagende Bank mit DM 123.000,-- im Konkurs aus. Sie macht einen Teilbetrag hiervon gegen den beklagten Bürgen geltend. Im Gegensatz zu den beiden Vorinstanzen gab der BGH der Klage statt.

  B) Soweit ein Bürge den Gläubiger befriedigt, geht die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner nach § 774 BGB auf ihn über. Mit der Forderung erwirbt der Bürge gemäß den §§ 401, 412 BGB auch die für sie bestellten Hypotheken, Schiffshypotheken, Pfandrechte oder das Recht gegen einen (anderen) Bürgen. (Beachte hierzu aber § 774 II BGB). Zu den in § 401 BGB aufgeführten Rechten zählen zwar nicht die nichtakzesorischen Kreditsicherheiten, wie hier die Sicherheitsabtretung, jedoch nehmen Rechtsprechung (2) und herrschende Meinung im Schrifttum (3) in diesen Fällen eine schuldrechtliche Verpflichtung des Gläubigers zur Übertragung der Sicherheit analog der genannten Vorschriften an.

  Da die Bürgschaft ein einseitig den Bürgen verpflichtender Vertrag ist, tut sich die Rechtsprechung schwer mit der Anerkennung von vertraglichen Sorgfaltspflichten des Gläubigers zugunsten des Bürgen (4). Als zentrale Schutzvorschrift schützt § 776 BGB den Bürgen jedoch vor den Folgen, wenn er nach Befriedigung des Gläubigers eine Sicherheit nicht bekommt, weil der Gläubiger sie zuvor aufgegeben hat: Gibt der Gläubiger vielmehr eine akzessorische oder nicht-akzessorische (5)  Sicherheit auf, so wird der Bürge insoweit aus seiner Bürgschaftsverpflichtung befreit, als er aus der aufgegebenen Sicherheit nach der cessio legis gemäß § 774 BGB hätte Ersatz erlangen können. Verliert der Bürge durch Verschulden des Gläubigers die Möglichkeit, sich nach seiner Inanspruchnahme seinerseits durch die Verwertung der auf ihn (entsprechend den §§ 412, 401, 774 BGB) übergegangenen, bzw. übertragenen Sicherheiten schadlos zu halten, so ist es nur billig, daß das Gesetz von vornherein seine Inanspruchnahme insoweit ausschließt (§776BGB)!

  In Literatur und Rechtsprechung wird die individualvertragliche Abdingbarkeit des § 776  BGB, soweit ersichtlich bisher nicht in Abrede gestellt. In dem Eingangsfall, waren die Rechte des beklagten Bürgen aus § 776 BGB jedoch formularmäßig abbedungen. Der Ausschluß mußte daher anhand von § 9 AGBG (6)überprüft werden. Der formularmäßige Ausschluß der Rechte des beklagten Bürgen hielt der richterlichen Inhaltskontrolle stand. Die Entscheidung, zu der der BGH bis heute steht, ist jedoch abzulehnen!

  C) Der BGH rechtfertigt die Wirksamkeit des formularmäßigen Ausschlusses des § 776 BGB damit, daß der Hauptschuldner nicht in seiner Handlungsfreiheit beschränkt werden dürfe und verweist auf Nr. 19II Banken-AGBen, nach der alle "irgendwie in den Besitz oder die Verfügungsgewalt irgendeiner Stelle der Bank gelangten oder gelangenden Sachen und Rechte .... als Pfand für alle .... Ansprüche der Bank gegen den Kunden" dienen. [ Beachte jedoch jetzt Nr. 14 Banken-AGB] Der BGH argumentiert damit, daß die Bank diese Werte blockieren müßte, wenn sie nicht ihre Sicherheiten aus der Bürgschaft insoweit verlieren wolle (7). Ein Nichtverzicht des Bürgen aus seine Rechte aus § 776 BGB würde nach Ansicht des BGH wegen Nr. 19 II Banken-AGBen eine "zu starke Einschränkung des Hauptschuldners" bedeuten. Diese "besonders gewichtigen Gründe" sprächen dafür, "einen (formularmäßigen) Verzicht auf die Rechte aus § 776 BGB durch den Bürgen nicht als der Billigkeit widersprechend anzusehen."(8).

  D) Auffallend an der Entscheidung ist die Methode des BGH, mit der aus einer Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht  -hier das umfassende Pfandrecht nach Nr. 19 II Banken-AGBen (Alte Fassung)-  die Zulässigkeit einer anderen Abweichung gebilligt wird. Diese Argumentation kann nicht überzeugen. Einmal hätte es aufgrund der vom BGH analysierten "zu starken Einschränkung des Hauptschuldners" durch Nr. 19 II Banken-AGBen (Alte Fassung) nahegelegen, diese Bestimmung an § 9 AGBG zu messen, was damals aber nicht geschah, zum anderen rechtfertigt Nr. 19 II Banken-AGBen nicht die Feststellung der Wirksamkeit des formularmäßigen Ausschlusses des § 776 BGB im vollem Umfange.

   In dem Fall, der zur Entscheidung angestanden hat, waren es nicht AGB-Pfandrechte, auf die die klagende Bank durch den Vergleich verzichtet hat, sondern Rechte aus einer gesondert vereinbarten Globalzession. Diese Globalzession diente neben etwaigen Pfandrechten gemäß Nr. 19 II Banken-AGBen (Alte Fassung) als Sicherheit für die gleichen Forderungen der Bank, für die sich auch der Beklagte verbürgt hatte. Der Beklagte konnte daher erwarten, daß die Bank nicht auf die gesondert vereinbarte Globalzession verzichten und ihm so die Möglichkeit nehmen würde, die ihhm nach seiner Inanspruchnahme durch die Bank analog den §§ 774 I, 412 401 BGB schuldrechtlich zustehenden Sicherheiten zu verwerten. Im übrigen ist ein Verzicht der Bank auf die Geltendmachung der Globalzession  -im Gegensatz zu der Inanspruchnahme des Pfandrechtes nach Nr. 19 II Banken-AGBen (Alte Fassung)-  auch nicht aus Schuldnerschutzgründen erforderlich, da eine Verwertung der global zedierten Forderungen den Schuldner nicht derart einschränkt wie die Geltendmachung des allumfassenden AGB-Pfandrechtes.
  Nach alledem konnte der BGH nach seiner eigenen Argumentation den formularmäßigen Ausschluß des § 776 BGB allenfalls insoweit mit § 9 AGBG vereinbar  erklären, als der Ausschluß sich auf den Verzicht auf die Geltendmachung von AGB-Pfandrechten durch die Bank bezieht; insoweit  -wie im Eingangsfall- der formularmäßige Ausschluß des § 776 BGB auch wirksam sein soll, als die Bank auf neben der Bürgschaft gesondert vereinbarte Globalzession verzichtet, hätte der weiteren Überprüfung bedurft, welche der BGH nicht vorgenommen hat.
  Diese Überprüfung hätte ergeben, daß der formularmäßige Ausschluß des § 776 BGB insoweit der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG nicht standhält, als die Bank auf neben dem AGB- Pfandrecht gesondert vereinbarten Sicherheiten verzichtet. Da die Freistellung des Bürgen nach § 776 BGB vorsätzliches Aufgeben der Sicherheiten durch den Gläubiger voraussetzt (10), würde eine Inanspruchnahme des Bürgen im Ergebnis bedeuten, daß die Bank sich von Einwendungen freizeichnet, die dem Bürgen wegen einer vorsätzlichen Schädigung durch die Bank zustehen.
  Der Ausschluß des § 776 BGB im Eingangsfall, soweit er den Verzicht auf Rechte aus der Globalzession betrifft, diente nicht dazu, dem Hauptschuldner seine wirtschaftliche Betätigungsfreiheit zu belasssen, sondern er war allein dazu angetan, die Rechtsfolgen des vorsätzlichen Handels der Bank gegen die Interessen des Bürgen ( der Vergleichsabschluß) auszuschließen. Die Freizeichnung weicht somit im alleinigen Interesse der Bank von einer zentralen Bürgenschutzvorschrift ab. Ein Verbot des formularmäßigen Ausschlusses der Rechte des Bürgen aus § 776 BGB hinert hingegen die Bank unbedingt daran, in den Fällen, wo dies aus Gründen des (Haupt-)Schuldnerschutzes erforderlich sein könnte, bestimmte Sicherheiten aufzugeben. Die Unzulässigkeit nach § 9 AGBG würde die banl ledoglich dazu zwingen, hierbei auf die Belange des Bürgen Richtsicht nehmen zu müssen und auch mit diesem zu verhandeln.

Gemessen an § 9 AGBG hätte der BGH daher insoweit von der Unwirksamkeit des formularmäßigen Ausschlusses der Rechte des Bürgen aus § 776 BGB ausgehen müssen. Im konkreten Eingangsfall hätte dies zur Klagabweisung geführt.

  E) In den späteren Entscheidungen des BGH sind keine gewichtigen neuen Argumente hinzugekommen, die für die Zulässigkeit des formularmäßigen Ausschlusses des § 776BGB, gemessen an § 9 AGBG sprechen. Vielmehr ist im wesentlichen nur die bisherige Rechtsprechung zur Begründung herangezogen worden. Richtig ist und bleibt aber, daß der Bürge formularmäßig nicht wirksam auf seine Rechte aus § 776 BGB verzichten kann.


Anmerkung: Von der o.a. Auffassung ist BGH nunmehr abgerückt.  Siehe dazu die Entscheidung des BGH, Urteil v. 2000-03-02; IX ZR 328/98 (Oldenburg), NJW 2000, 1566, in der mit nunmehr guten Argumenten die frühere Ansicht verworfen wird!



Fußnoten:
(1) BGHz 78, 137= NJW 81, 748= WM 80, 1255 = JZ 80, 766=BB 80, 1606 = LM BGB 776 Nr. 2
(2) BGHz 42, 53 (56)= NJW 1964, 1788; BGH WM 67, 213 (214)=MDR 67, 486= BB 67,227 =DB 67, 548 =LM § 401      Nr. 5 Bl. 3; BGHz 80, 232; BGHz 92, 378; BGHz 110, 43; OLG Köln, NJW 90, 3214.
(3) Scholz, NJW 62, 2228; Friedrich, NJW 69, 485; Knütel in FS Flume, S. 559 (587);  Palandt/ Heinrichs, Rdnr. 5 zu § 401 BGB.
(4) BGH WM 67, 366; BGH WM 68, 1391; vergl. jedoch auch die gegenteiligen Hinweise bei Knütel in FS Flume, S. 559 ( 574 f ).
(5)  OLG München, MDR 57, 356; OLG Köln, NJW 90, 3214; Palandt/ Thomas, Rdnr. 4 zu § 776 BGB.
(6) Der Beklgate war Kaufmann i.S. v. § 1 AGBG
(7)  Ähnlich auch schon Esser/Weyers, SchuldR BT I, § 40 III 6.
(8) BGH, aaO (Fn 1 )
(9) -
(10)  BGH BB 60,70; BGH NJW 66, 2009; Esser/Weyers, SchuldR BT I, § 40 III 6; Weitzel, JuS 81, 112 (114), Palandt/ Thomas, Rdnr.3 zu § 776 BGB, RGRK/ Mormann, Rdnr. 1 zu § 776 BGB; dagegen für analoge Anwendung des § 776 BGB auch bei Fahrlässigkeit: Knütel in FS Flume, S. 559 ( 589).


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