S Zur Frage,
ob Frauen der gleiche Zugang zur Bundeswehr zusteht, wie Männern.
- Tanja Kreil ./. Bundesrepublik
Deutschland -
EuGH, RS C-285/98 von 2000-01-11
(z.T. gekürzt in EuZW 2000,211; DB 2000, 0279; NZWehrr 2000, 28; NJW 2000, 497)
siehe auch die Besprechungen von Torsten Stein in EuZW 2000, 211,
von Claus Arndt, in NJW 2000, 1461, von Sascha Dietrich in NZWehrr 2000, 102,
von Sieberichs in NJW 2000, 2565 und von Matthias Spranger in NZWehrr 2000, 117
sowie den Kommentar von Sibylle Raasch in KJ 2000, 248;
vergl. auch auf der WEBpage des EuGH die Entscheidung des EuGH in der Rs. C-273/97 (Sirdar ./. Royal Marines) vom 26. Oktober 1999 (NJW 2000, 499)
URTEIL DES GERICHTSHOFES
11. Januar 2000
Gleichbehandlung von Männern und Frauen - Beschränkung des
Zugangs von Frauen zum Dienst mit der Waffe in der Bundeswehr
In der Rechtssache C-285/98
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel
234 EG) vom Verwaltungsgericht Hannover (Deutschland) in dem bei diesem
anhängigen Rechtsstreit
Tanja Kreil
gegen
Bundesrepublik Deutschland
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der
Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung
des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich
des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen
Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40),
insbesondere Artikel 2,
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias,
der Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida und L. Sevón
sowie der Richter P. J. G. Kapteyn, C. Gulmann, J.-P. Puissochet (Berichterstatter),
G. Hirsch, H. Ragnemalm und M. Wathelet,
Generalanwalt: A. La Pergola
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
-von Frau Kreil, vertreten durch Rechtsanwalt J. Rothardt, Soltau,
-der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat W.-D. Plessing
und Regierungsdirektor C.-D. Quassowski, Bundesministerium für Wirtschaft,
als Bevollmächtigte,
-der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
Rechtsberater J. Grunwald als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Frau Kreil,
vertreten durch Rechtsanwalt J. Rothardt, der deutschen Regierung, vertreten
durch C.-D. Quassowski, der italienischen Regierung, vertreten durch Avvocato
dello Stato D. Del Gaizo, der Regierung des Vereinigten Königreichs,
vertreten durch Assistant Treasury Solicitor J. E. Collins als Bevollmächtigten
im Beistand von N. Pleming, QC, und der Kommission, vertreten durch J.
Grunwald, in der Sitzung vom 29. Juni 1999,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts
in der Sitzung vom 26. Oktober 1999,
folgendes
Urteil
1. Das Verwaltungsgericht Hannover hat mit Beschluß vom 13. Juli
1998, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Juli 1998, gemäß Artikel
177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung der
Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung
des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen
hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und
zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl.
L 39, S. 40; im folgenden: Richtlinie), insbesondere Artikel 2, zur Vorabentscheidung
vorgelegt.
2. Diese Frage stellt sich im Rahmen eines Rechtsstreits, den Frau Kreil
gegen die Bundesrepublik Deutschland angestrengt hat, weil ihr die Bundeswehr
eine Verwendung in der Instandsetzung (Elektronik) verweigert hat.
Rechtlicher Rahmen
3. Artikel 2 Absätze 1 bis 3 der Richtlinie lautet:
5(1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen
beinhaltet, daß keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung
auf Grund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe-
oder Familienstand - erfolgen darf.
(2) Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen,
solche beruflichen Tätigkeiten und gegebenenfalls die dazu jeweils
erforderliche Ausbildung, für die das Geschlecht auf Grund ihrer Art
oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine unabdingbare Voraussetzung
darstellt, von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen.
(3)Diese Richtlinie steht nicht den Vorschriften zum Schutz der Frau,
insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, entgegen."
4. Nach Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie prüfen 5[d]ie Mitgliedstaaten
... in regelmäßigen Abständen die unter Artikel 2 Absatz
2 fallenden beruflichen Tätigkeiten, um unter Berücksichtigung
der sozialen Entwicklung festzustellen, ob es gerechtfertigt ist, die betreffenden
Ausnahmen aufrechtzuerhalten. Sie übermitteln der Kommission das Ergebnis
dieser Prüfung."
5. Artikel 12a des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland
bestimmt:
5(1)Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an
zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem
Zivilschutzverband verpflichtet werden.
...
(4)Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen
im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen
Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so
können Frauen vom vollendeten achtzehnten
bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch
Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen
herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe
leisten."
6. Die Möglichkeiten des Zugangs von Frauen
zu militärischen Verwendungen in der Bundeswehr
sind insbesondere in § 1 Absatz 2 des Soldatengesetzes (SG) und §
3a der Soldatenlaufbahnverordnung (SLV) geregelt, wonach Frauen
nur aufgrund freiwilliger Verpflichtung und nur in Laufbahnen des Sanitäts-
und Militärmusikdienstes eingestellt werden können.
Der Ausgangsrechtsstreit
7. Frau Kreil, die als Elektronikerin ausgebildet
ist, bewarb sich 1996 für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr
mit dem Verwendungswunsch Instandsetzung (Elektronik). Ihr Antrag wurde
vom Zentrum für Nachwuchsgewinnung und danach vom Personalstammamt
der Bundeswehr mit der Begründung abgelehnt, es sei gesetzlich ausgeschlossen,
daß Frauen Dienst mit der Waffe leisteten.
8.Sie erhob daraufhin Klage beim Verwaltungsgericht Hannover und trug u.
a. vor, die Ablehnung ihrer Bewerbung allein aus geschlechtsspezifischen
Gründen sei gemeinschaftsrechtswidrig.
9. Da das Verwaltungsgericht Hannover der Ansicht war, daß für
die Entscheidung des Rechtsstreits eine Auslegung der Richtlinie erforderlich
sei, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage
zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Liegt ein Verstoß gegen die Richtlinie des Rates vom 9. Februar
1976 (76/207/EWG) - insbesondere auch im Hinblick auf Artikel 2 Absatz
2 dieser Richtlinie - in der Regelung des § 1 Absatz 2 Satz 3 des
Soldatengesetzes in der Fassung vom 15. Dezember 1995 (BGBl. I S. 1737),
zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2846)
und § 3a der Soldatenlaufbahnverordnung in der Fassung der Bekanntmachung
vom 28. Januar 1998 (BGBl. I S. 326), wonach Frauen
aufgrund freiwilliger Verpflichtung nur für Verwendungen im
Sanitäts- und Militärmusikdienst berufen werden können,
vom Dienst mit der Waffe jedoch in jedem Falle ausgeschlossen sind?
Zur Vorlagefrage
10. Das vorlegende Gericht möchte mit dieser Frage im wesentlichen
wissen, ob die Richtlinie der Anwendung nationaler Bestimmungen entgegensteht,
die wie die des deutschen Rechts Frauen vom
Dienst mit der Waffe ausschließen und ihnen nur den Zugang zum Sanitäts-
und Militärmusikdienst erlauben.
11. Frau Kreil trägt vor, ein solcher Ausschluß stelle eine
unmittelbare Diskriminierung dar, die gegen die Richtlinie verstoße.
Nach ihrer Ansicht ist es gemeinschaftsrechtlich nicht zulässig, daß
einer Frau durch Gesetz oder Verordnung der Zugang zu einem von ihr gewünschten
Beruf verwehrt werde.
12. Die deutsche Regierung vertritt dagegen die Auffassung,
daß das Gemeinschaftsrecht den fraglichen Bestimmungen des SG und
der SLV nicht entgegensteht, die mit dem verfassungsrechtlichen Gebot des
Ausschlusses von Frauen vom Dienst mit der Waffe im Einklang stünden.
Zum einen gelte das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich nicht für
Fragen der Verteidigung, die zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik
gehörten und in der Souveränität der Mitgliedstaaten verblieben
seien. Zum anderen könnten, auch wenn man davon ausgehe, daß
die Richtlinie im Bereich der Streitkräfte Anwendung finde, die fraglichen
nationalen Bestimmungen über die Beschränkung des Zugangs von
Frauen auf bestimmte Verwendungen in der Bundeswehr nach Artikel
2 Absätze 2 und 3 der Richtlinie gerechtfertigt sein.
13. Die italienische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs,
die in der mündlichen Verhandlung Stellung genommen haben, weisen
im wesentlichen darauf hin, daß Entscheidungen über Organisation
und Kampfkraft der Streitkräfte nicht in den Anwendungsbereich des
Vertrages fielen. Hilfsweise machen sie geltend, daß Artikel 2 Absatz
2 der Richtlinie unter bestimmten Umständen den Ausschluß von
Frauen vom Dienst in Kampfeinheiten rechtfertigen
könne.
14. Nach Ansicht der Kommission findet die Richtlinie,
die für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse gelte,
auf Beschäftigungsverhältnisse in den Streitkräften Anwendung.
Sie vertritt die Auffassung, Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie könne
einen stärkeren Schutz von Frauen gegenüber Gefahren, die Männer
und Frauen in gleicher Weise beträfen, nicht rechtfertigen. Die Frage,
ob die von Frau Kreil angestrebte Beschäftigung zu den Tätigkeiten
gehöre, für die es aufgrund ihrer Art oder der Bedingungen ihrer
Ausübung unabdingbare Voraussetzung im Sinne von Artikel 2 Absatz
2 der Richtlinie sei, daß sie von Männern und nicht von Frauen
ausgeübt würden, sei vom vorlegenden Gericht zu beantworten;
es habe dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu
beachten und müsse sowohl dem Ermessensspielraum, der dem einzelnen
Mitgliedstaat nach Maßgabe der nationalen Besonderheiten belassen
sei, als auch dem Prozeßcharakter der fortschreitenden Verwirklichung
des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen Rechnung
tragen.
15. Wie der Gerichtshof in Randnummer 15 des Urteils
vom 26. Oktober 1999 in der Rechtssache C-273/97 (Sirdar, Slg. 1999, I-0000)
ausgeführt hat, ist es Sache der Mitgliedstaaten, die die geeigneten
Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer inneren und äußeren
Sicherheit zu ergreifen haben, die Entscheidungen über die Organisation
ihrer Streitkräfte zu treffen. Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß
derartige Entscheidungen vollständig der Anwendung des Gemeinschaftsrechts
entzogen wären.
16. Der Vertrag sieht nämlich, wie der Gerichtshof
bereits festgestellt hat, Ausnahmen aus Gründen der öffentlichen
Sicherheit nur in den Artikeln 36, 48, 56, 223 (nach Änderung jetzt
Artikel 30 EG, 39 EG, 46 EG und 296 EG) und 224 (jetzt Artikel 297 EG)
vor; diese betreffen ganz bestimmte außergewöhnliche Fälle.
Aus ihnen läßt sich kein allgemeiner, dem Vertrag immanenter
Vorbehalt ableiten, der jede Maßnahme, die im Interesse der öffentlichen
Sicherheit getroffen wird, vom Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts
ausnimmt. Würde ein solcher Vorbehalt unabhängig von den besonderen
Tatbestandsmerkmalen der Bestimmungen des Vertrages anerkannt, so könnte
das die Verbindlichkeit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts
beeinträchtigen (vgl. Urteile vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache
222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651, Randnr. 26, und Sirdar, Randnr. 16).
17. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit
im Sinne der in vorstehender Randnummer genannten Artikel des Vertrages
umfaßt aber sowohl die innere Sicherheit eines Mitgliedstaats, um
die es in dem Verfahren ging, das dem Urteil Johnston zugrunde lag, als
auch seine äußere Sicherheit, die Gegenstand des Verfahrens
war, das zum Urteil Sirdar geführt hat (vgl. Urteile vom 4. Oktober
1991 in der Rechtssache C-367/89, Richardt und 5Les Accessoires Scientifiques",
Slg. 1991, I-4621, Randnr. 22, vom 17. Oktober 1995 in der Rechtssache
C-83/94, Leifer u. a., Slg. 1995, I-3231, Randnr. 26, und Sirdar, Randnr.
17).
18. Außerdem betreffen einige der im Vertrag
vorgesehenen Ausnahmen nur die Bestimmungen über den freien Waren-,
Personen- und Dienstleistungsverkehr und nicht die Sozialvorschriften des
Vertrages, zu denen der von Frau Kreil geltend gemachte Grundsatz der Gleichbehandlung
von Männern und Frauen gehört. Es entspricht ständiger
Rechtsprechung, daß dieser Grundsatz allgemeine Geltung hat und daß
die Richtlinie auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse anwendbar
ist (vgl. Urteile vom 21. Mai 1985 in der Rechtssache 248/83, Kommission/Deutschland,
Slg. 1985, 1459, Randnr. 16, vom 2. Oktober 1997 in der Rechtssache C-1/95,
Gerster, Slg. 1997, I-5253, Randnr. 18, und Sirdar, Randnr. 18).
19. Folglich ist die Richtlinie in einem Fall wie
dem des Ausgangsverfahrens anwendbar.
20. Nach Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie haben
die Mitgliedstaaten die Befugnis, solche beruflichen Tätigkeiten,
für die das Geschlecht aufgrund ihrer Art oder der Bedingungen ihrer
Ausübung eine unabdingbare Voraussetzung darstellt, vom Anwendungsbereich
der Richtlinie auszuschließen, wobei jedoch daran zu erinnern ist,
daß diese Bestimmung als Ausnahme von einem in der Richtlinie verankerten
individuellen Recht eng auszulegen ist (vgl. Urteile Johnston, Randnr.
36, und Sirdar, Randnr. 23).
21. So hat der Gerichtshof z. B. festgestellt, daß
das Geschlecht für Beschäftigungsverhältnisse wie die eines
Aufsehers und Chefaufsehers in Haftanstalten (Urteil vom 30. Juni 1988
in der Rechtssache 318/86, Kommission/Frankreich, Slg. 1988, 3559, Randnrn.
11 bis 18), für bestimmte Tätigkeiten wie die der Polizei bei
schweren inneren Unruhen (Urteil Johnston, Randnrn. 36 und 37) oder auch
für den Dienst in speziellen Kampfeinheiten (Urteil Sirdar, Randnrn.
29 bis 31) eine unabdingbare Voraussetzung darstellen kann.
22. Ein Mitgliedstaat kann solche Tätigkeiten
und die hierauf vorbereitende Berufsausbildung je nach Lage des Falles
Männern oder Frauen vorbehalten. Die Mitgliedstaaten sind, wie sich
aus Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie ergibt, in einem solchen Fall verpflichtet,
die betreffenden Tätigkeiten in regelmäßigen Abständen
zu prüfen, um unter Berücksichtigung der sozialen Entwicklung
festzustellen, ob die Ausnahme von der allgemeinen Regelung der Richtlinie
noch aufrechterhalten werden kann (vgl. Urteile Johnston, Randnr. 37, und
Sirdar, Randnr. 25).
23. Bei der Festlegung der Reichweite der Ausnahme
von einem Grundrecht wie dem auf Gleichbehandlung ist außerdem, wie
der Gerichtshof in Randnummer 38 des Urteils Johnston und Randnummer 26
des Urteils Sirdar ausgeführt hat, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
zu beachten, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts
gehört. Danach dürfen Ausnahmen nicht über das hinausgehen,
was zur Erreichung des verfolgten Zieles angemessen und erforderlich ist;
ferner ist der Grundsatz der Gleichbehandlung soweit wie möglich mit
den Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit, die für die Bedingungen
der Ausübung der jeweiligen Tätigkeiten bestimmend sind, in Einklang
zu bringen.
24. Die nationalen Stellen verfügen jedoch je
nach den Umständen über einen bestimmten Ermessensspielraum,
wenn sie die für die öffentliche Sicherheit eines Mitgliedstaats
erforderlichen Maßnahmen treffen (vgl. Urteile Leifer u. a., Randnr.
35, und Sirdar, Randnr. 27).
25. Daher ist, wie der Gerichtshof in Randnummer
28 des Urteils Sirdar ausgeführt hat, zu prüfen, ob unter den
Umständen des konkreten Falles die Maßnahmen, die die nationalen
Stellen in Ausübung des ihnen zuerkannten Ermessens getroffen haben,
tatsächlich das Ziel verfolgen, die öffentliche Sicherheit zu
gewährleisten, und ob sie angemessen und erforderlich sind, um dieses
Ziel zu erreichen.
26. Wie in den Randnummern 5, 6 und 7 des vorliegenden
Urteils festgestellt, stützt sich die Weigerung, die Klägerin
des Ausgangsverfahrens in den Dienst der Bundeswehr einzustellen, in dem
sie beschäftigt werden wollte, auf die Bestimmungen des deutschen
Rechts, wonach Frauen vollständig vom Dienst mit der Waffe ausgeschlossen
sind und ihnen nur der Zugang zum Sanitäts- und Militärmusikdienst
erlaubt ist.
27. In Anbetracht seiner Reichweite kann ein solcher
Ausschluß, der für nahezu alle militärischen Verwendungen
in der Bundeswehr gilt, nicht als eine Ausnahmemaßnahme angesehen
werden, die durch die spezifische Art der betreffenden Beschäftigungen oder die besonderen
Bedingungen ihrer Ausübung gerechtfertigt wäre. Die Ausnahmen
im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie können aber nur spezifische
Tätigkeiten betreffen (vgl. Urteil Kommission/Frankreich, Randnr.
25).
28. Im übrigen kann schon im Hinblick auf das
Wesen der Streitkräfte die Tatsache, daß deren Angehörige
zum Einsatz von Waffen verpflichtet sein können, für sich allein
nicht den Ausschluß von Frauen vom Zugang zu militärischen Verwendungen
rechtfertigen. Wie die deutsche Regierung erklärt hat, gibt es auch
in den Diensten der Bundeswehr, zu denen Frauen Zugang haben, eine Ausbildung
an der Waffe, die dem Personal dieser Dienste die Selbstverteidigung und
Nothilfe ermöglichen soll.
29. Somit konnten die nationalen Stellen auch unter
Berücksichtigung des ihnen zustehenden Ermessens hinsichtlich der
Möglichkeit, den betreffenden Ausschluß aufrechtzuerhalten,
nicht ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
allgemein davon ausgehen, daß sämtliche bewaffneten Einheiten
der Bundeswehr weiterhin ausschließlich aus Männern bestehen
müssen.
30. Was schließlich eine Anwendung von Artikel
2 Absatz 3 der Richtlinie betrifft, auf den sich die deutsche Regierung
ebenfalls berufen hat, so soll diese Bestimmung, wie der Gerichtshof in
Randnummer 44 des Urteils Johnston ausgeführt hat, zum einen die körperliche
Verfassung der Frau und zum anderen die besondere Beziehung zwischen Mutter
und Kind schützen. Danach können also Frauen nicht mit der Begründung
von einer Beschäftigung ausgeschlossen werden, sie müßten
im Verhältnis zu Männern stärker gegen Gefahren geschützt
werden, die sich von den besonderen, in der Richtlinie ausdrücklich
erwähnten Schutzbedürfnissen der Frau unterscheiden.
31. Der vollständige Ausschluß von Frauen
vom Dienst mit der Waffe gehört demnach nicht zu den Ungleichbehandlungen,
die nach Artikel 2 Absatz 3 der Richtlinie zum Schutz der Frau zulässig
sind.
32. Auf die Vorlagefrage ist somit zu antworten,
daß die Richtlinie der Anwendung nationaler Bestimmungen entgegensteht,
die wie die des deutschen Rechts Frauen allgemein vom Dienst mit der Waffe
ausschließen und ihnen nur den Zugang zum Sanitäts- und Militärmusikdienst
erlauben.
Kosten
33.
Die Auslagen der deutschen und der italienischen
Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission,
die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig.
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung
ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Verwaltungsgericht Hannover mit Beschluß vom 13.
Juli 1998 vorgelegte Frage für Recht erkannt:
Die Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung
des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich
des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen
Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen steht der Anwendung
nationaler Bestimmungen entgegen, die wie die des deutschen Rechts Frauen
allgemein vom Dienst mit der Waffe ausschließen und ihnen nur den
Zugang zum Sanitäts- und Militärmusikdienst erlauben.
Rodríguez IglesiasMoitinho de Almeida
Sevón
Kapteyn Gulmann Puissochet
HirschRagnemalm Wathelet
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. Januar 2000.